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Vollzug
Anspruch und Wirklichkeit liegen oft weit auseinander.
Gesetzeslage
Im ProstSchG heißt es an vielen Stellen immer wieder: "die zuständige Behörde" oder "die zuständige Erlaubnisbehörde". Dies ist bereits ein Hinweis darauf, dass es sich bei dem ProstSchG um ein Bundesgesetz handelt, dessen Umsetzung jedoch den jeweiligen Ländern obliegt. Diese müssen bestimmen, welche Behörde, in welcher Kommune, für welche Aufgaben zuständig ist.
Die Ursache dafür ist der in Deutschland geltende Föderalismus, das heißt Bundesgesetze müssen in jedem einzenen Bundesland von der Exekutive (Art. 20 Abs. 1 GG: vollziehende Gewalt = Exekutive = Regierung und Verwaltung) mit entsprechenden Umsetzungs-Verordnungen übernommen und dann umgesetzt werden.
Es gab vor der Verabschiedung des ProstSchG von Seiten vieler Landesregierung und Kommunen, vertreten durch den Deutschen Städtetag, große Bedenken, wie sie diese neuen Aufgaben umsetzen sollen. Dabei spielten die Kosten, aber auch das fehlende und einzuarbeitende Personal eine große Rolle. Lange wurde in einzelnen Bundesländern die Umsetzung hinausgezögert. Thüringen stellte das Schlusslicht dar und schaffte entsprechende Regelungen erst ab dem 01.01.2022 – also 4,5 Jahre nach Inkrafttreten des ProstSchG.
Auch scheinen manche Behördenmitarbeiter*innen an alten Klischees und Bildern zu kleben: sie können sich einfach nicht vorstellen, dass eine Prostitutionsstätte wie ein anderes Geschäft seriös und auf dem Boden der Gesetze betrieben werden kann. Geschichten von Sex & Crime geistern durch ihre Köpfe und so treten sie dann auch oft auf. Es ist klar: die Branche hat ein Imageproblem. Sie muss sich öffnen, Transparenz zeigen und in Gespräche gehen. Die Tatsache, dass sie ein umfangreiches Betriebskonzept vorlegen mussten und die Erlaubnis (wie die Konzession im Gewerberecht) erhielten, reicht nicht auch!
Probleme für Betreiber*innen
Für die Betreiber*innen, die sich an das Gesetz gehalten und große Umbauten und strukturelle Veränderungen durchgeführt haben und oft nach einem langen bürokratischen Prozess mit enormen Kosten über eine Erlaubnis nach dem ProstSchG verfügen, stellt die fehlende, flächendeckende Übertragung des ProstSchG einen großen Nachteil dar. Offensichtlich agieren Mitbewerber*innen, die bewusst oder unbewusst das Gesetz missachten, ohne Konsequenzen der Behörden. Bei diesen werden keine Kontrollen und keine Razzien durchgeführt, obwohl den Zuständigen in den Behörden die Adressen und Namen bekannt sind. In manchen Städten gibt es nachweislich 60 - 80 % "illegale Adressen" und es wird nicht gegen sie vorgegangen. Das heißt, sie verdienen Geld, haben die Hürden des Erlaubnisverfahrens umgangen und stellen einen großen Wettbewerbsnachteil – unterstützt durch die Behörden – für die erlaubten Prostitutionsstätten dar.
Ist dies ein Umsetzungsproblem wegen fehlendem Personal oder gehen die zuständigen Behörden bewusst den leichteren Weg und schauen sich die öffentlich agierenden und erlaubten Prostitutionsstätten an, weil diese sichtbar sind? Scheuen sie sich vor den Mühen, auch die anderen aufzusuchen? Hier müsste man recherchieren, wo geworben wird, wo die Adressen sind, wer hinter den Sexarbeiter*innen steht und die Räume anmietet, was viel mehr Mühe ist.
Seit dem Zunehmen der Diskussion um das sog. Nordische Modell macht sich auch eine große Skepsis in der Branche breit: man vertraut weder den Behörden noch der Politik. Vor dem Prostitutionsgesetz (ProstG) von 2002 war Prostitution unter gewissen Bedingungen erlaubt. Hier bestanden allerdings Arbeitsbedingungen ohne rechtliche Absicherung. Zudem drohten ständig Razzien und Überprüfungen, wo allein das Auffinden von Kondomen (die vielleicht kurz vorher das Gesundheitsamt im Rahmen der HIV/STI-Prävention mitgebracht hatte) für ein Strafverfahren ausreichte. Alle standen mehr oder weniger mit einem Beim im Gefängnis.
So wurden große Hoffnungen in das ProstG gesetzt und vor allem vertraute man der Politik, die eine Erweiterung/Übertragung dieses Paradigmenwechsels auf viele andere Gesetze versprochen hatte.
Doch "die Politik" ließ sich einlullen von Horrorgeschichten, Dramatisierungen und Moral-Diskussionen und es kam nicht zur nötigen Erweiterung, z. B. auf das Gewerberecht und Baurecht, was eine gewisse Gleichstellung mit anderen Gewerben und ein Abbau von Diskriminierung bedeutet hätte, sondern es begann die Diskussion um das sog. Nordische Modell, aus dem in einem ersten Schritt das Prostituiertenschutzgesetz entstand.
Auch das ProstSchG wurde nicht zufriedenstellend umgesetzt:
- Es gibt keine deutschlandweit einheitliche Regeln, z. B. über die Anfordernisse an ein Betriebskonzept oder an ein "sachgerechtes" Notrufsystem.
- Es gibt kein deutschlandweises einheitliches Vorgehen gegen nicht erlaubte, also illegale, Bordelle. Man lässt sie gewähren.
- Zeitgleich werden die öffentlichen, sichtbaren und erlaubten Prostitutionsstätten mit einer Kontrolle nach der anderen überzogen. Dem folgen oft Bußgelder, die dann wieder aufgehoben werden, meist wegen Fehler der Behörden.
Sexarbeit scheint der Spielball der Politik zu sein: mal wird schärfer geschossen, mal weniger.
Teils ist sogar ein "Rückfall" in alte, längst überholte Muster zu beobachten. Da tauchen z. B. angebliche Kunden in einem Bordell auf, lassen sich herumführen und alles erklären, die Sexarbeiter*innen stellen sich vor und klären über die Konditionen auf und dann klingelt es erneut an der Tür und ein Tross von Ordnungsamtsmitarbeiter*innen stürmt in das Bordell, auch direkt in die Arbeitszimmer und der "angebliche Kunde" stellt sich als Vertreter des Ordnungsamtes vor und erklärt den "Überfall".
Augenscheinlich geht es um die Kondompflicht, doch bei solch einem Vorgehen stellt sich die Frage der Verhältnismäßigkeit und dem Grundrecht auf Selbstbestimmung und Intimität der Sexarbeiter*in und des Kunden.
Schon früher arbeitete man mit "verdeckten Kunden" und überzog die Bordelle so lange mit Kontrollen und Razzien, bis diese ihren Widerstand aufgaben und taten, was die Behörden verlangten – außerhalb der gesetzlichen Bestimmungen.
Dies hat etwas von einem Katz-und-Maus-Spiel. All die verdeckten Operationen sind nicht mehr nötig, denn die Behörden haben das Recht im Rahmen der Gesetze jederzeit das Bordell, etc. zu überprüfen, ob dort alles zutrifft, was im Betriebskonzept transparent dargelegt ist.
Auf keinen Fall besteht Rechtssicherheit und Verlässlichkeit. Wie soll man ein Geschäft langfristig aufbauen und sich jahrzehntelang finanziell binden? Alles bleibt auf wackeligen Beinen stehen. Das alles führt zu Lethargie und Hilflosigkeit.
Probleme für Sexarbeitende
Die Sexarbeiter*innen sind flexibler und pragmatischer: Sie tauschen sich aus, welche Erfahrungen sie mit einer/einem bestimmten Mitarbeiter*in in einer bestimmten Behörde, in einer bestimmten Stadt gemacht haben. Und natürlch entscheiden sie sich, wenn es machbar ist, für den für sie besten und günstigsten Ort. Das ändert sich natürlich immer mal wieder:
- Mal ist Berlin der Favorit, dann eine kleine Kommune in NRW, die abgelöst wird von einer Großstadt im Süden.
- Es mehren sich Geschichten um Diskriminierung und Bevormundung von Sexarbeiter*innen bei der gesundheitlichen Beratung und der Registrierung und deren Kontrolle. Es fehlt augenscheinlich an ausgebildetem und dem Thema zugewandten Personal.
Probleme in der Gesetzeslage
Leider hat das ProstSchG es nicht geschafft, eine Anpassung oder Vereinheitlichung der verschiedenen Gesetze zu regeln:
- So legen die verschiedenen Finanzämter die Abgabenordnung (AO) unterschiedlich aus, z. B. versuchen die einen von den Betreiber*innen die Mehrwertsteuer der Sexarbeiter*innen zu erhalten, obwohl das ProstSchG deutlich regelt, dass diese selbständig auftreten und eine eigene Steuerpflicht haben. Die tatsächlichen Gegebenheiten im Bordell und das von der Behörde überprüfte Betriebskonzept missachten sie bewusst.
- Das Baurecht und die Baunutzungsverordnung wird von den meisten Behörden unter dem Aspekt der früher – in besonderen Einzelfällen – ergangenen Urteile ausgelegt. Das Ergebnis ist oft eine Versagung der erforderlichen Baunutzungsgenehmigung. Ein höchstrichterliches Urteil musste erst erstritten werden, um für viele Prostitutionsstätten hier realistische Lösungen zu erhalten.
- Die Gesetze widerprechen sich oft offensichtlich, z. B. stehen Regelungen des ProstSchG den Regelungen der Abgabenordnung (AO) entgegen.
Aber eins soll auch nicht verschwiegen werden: neben den vielen Negativbeispielen der Umsetzung des ProstSchG durch einzelnen Behörden gibt es unendlich viele Beispiele, wo Behörden "fünfe gerade" sein lassen, ein Auge zudrücken und den alten Stand akzeptieren, großzügig und beratend und wohlwollend sind. Also genauso umgekehrt = positiv reagierten und den Betreiber*innen und den Sexarbeiter*innen bei der Umsetzung des ProstSchG sehr behilflich waren.
Beispiele
- Marie (Betreiberin): "Ich habe die Stadt und die zuständige Polizeidienststelle schon mehrmals darauf aufmerksam gemacht, dass unter bestimmten Adressen, die im Internet beworben werden, Prostitution stattfindet. Diese Adressen sind aber keine offiziellen Prostitutionsstätten. Ich habe mich auch an die Presse gewandt und diesen Zustand bemängelt. Nichts ist daraufhin passiert, außer, dass ich weiterhin regelmäßig kontrolliert werde."
- Uwe (Betreiber): "So, wie das ProstSchG umgesetzt wird, bzw. in einem großen Bereich eben nicht umgesetzt wird, hat man schon den Eindruck, dass dies System hat, also dass die Politik und die Verwaltung bewusst nichts gegen die "illegalen Betriebe" machen, um dann sagen zu können: "Das ProstSchG hat nichts gebracht und es muss wieder abgeschafft werden."
- Lars (Betreiber): "Ich bin so lange in der Branche und habe verstanden, dass ich eh nichts ausrichten kann. Ich nehme die Änderungen so hin, wie sie kommen. Irgendwie geht es immer weiter."
- Lizzy (Betreiberin): "Ich habe mich z. B. immer an die Gesetze gehalten und habe immer Quittungen ausgestellt. Daraufhin sind die Frauen abgewandert und mein Geschäft litt darunter. Auch habe ich Einstiegsberatung und Deutschkurse für die Frauen angeboten, habe sie also gestärkt und professionalisiert. Daraufhin wollte mir das Finanzamt dann unterstellen, dass es sich um abhängige Beschäftigte handelt, obwohl jede Frau weiterhin selbstständig und autonom ihre Werbung geschaltet, mit den Kunden allein verhandelt und auch die Preise individuell festgelegt hat. Wie man es macht: es ist verkehrt und die Behörden drehen einem einen Strick draus!"
- Max: "Was soll ich von der kontrollierenden Behörde erwarten, wenn die Mitarbeiter*innen in den Betrieb stürmen und laut fragen: Wer ist hier der Zuhälter? Der Begriff "Zuhälter" stammt aus dem Strafgesetzbuch und ist mit einem konzessionierten Betrieb nicht vorstellbar. Ich lasse mich auch nicht immer als Krimineller abstempeln."
- Bernd/Betreiber: "Ich habe kein Vertrauen mehr in die Behörden und speziell die Polizei. In meinem Haus haben sich sicher in den letzten 10 Jahren mindestens 10 Übergriffe von Kunden ereignet. Jedes mal haben wir die Polizei gerufen, die direkt mit dem Kunden gesprochen und seine Daten auch aufgenommen haben. Die betroffenen Frauen haben immer eine Anzeige erstattet. Doch leider kam IMMER nach einiger Zeit ein Schreiben, dass das Verfahren gegen den Kunden aus öffentlichem Interesse eingestellt wurde. Das ist doch ein Skandal. Was ist mit dem Schutz der Sexarbeiter*innen?
Forderungen
- Die Behörden brauchen ausreichendes und gut ausgebildetes Personal, um flächendeckend die Regeln des ProstSchG umzusetzen. Wenn man das nicht will, wäre es ehrlicher, das Gesetz insgesamt wieder zu streichen.
- Die Gesetze widersprechen sich offensichtlich - eine gegenseitige Anpassung ist unabdingbar.