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Prostituierte
Alle Prostituierte über einen Kamm zu scheren ist falsch! Warum pauschale Aussagen und Regelungen eher Probleme und Stigma erzeugen statt zu helfen.
Gesetzeslage
In Gesetzestexten, den meisten Publikationen von Behörden und in Studien wird meist der Begriff Prostituierte benutzt. Das ist ein schwieriges Wort und ist kaum auszusprechen. Zudem haben es viele Menschen in der Branche nie gern benutzt.
Vor langer, langer Zeit wurden Begriffe wie Nutte, Bordsteinschwalbe, Liebesmädchen, Mädchen, Hure, Käufliche, etc. verwandt. Die Hurenbewegung setzte dann Anfang der 80er Jahre mehr und mehr den Begriff „Hure“ durch (Hurenprojekt, Hurenkongreß, Hurenball, Hurenkalender, etc.) und entschied sich damit bewusst, den negativ besetzten Begriff positiv zu besetzen, wie es bei vielen Randgruppen und ausgegrenzten Gesellschaftsgruppen, z. B. den „Schwulen“, zu den 70er bis 90er Jahren forciert wurde.
Im Zuge der Internationalisierung schwappte aus den USA dann der Begriff „Sexwork“ und „Sexworker“ zu uns herüber und wurde ins Deutsche als „Sexarbeit“ übertragen und übernommen, denn mit den Bezeichnungen „Sexarbeit“ und „Sexarbeiterin“ wurden klar die Bedeutung präsentiert:
- es handelt sich um Arbeit und
- es geht um Sexualität.
Seit der Einführung des ProstG 2002 setzte sich der Begriff „Sexarbeit“ mehr und mehr durch.
Die obige gesetzliche Begriffsbestimmung (§ 2 Abs. 2 ProstSchG) erweckt den Eindruck, dass alle Sexarbeiter*innen über einen Kamm zu scheren bzw. gleich seien. Dies entspricht nicht den Tatsachen.
Die Sexarbeiterin Anja ist mit der Sexarbeiterin Bea, beide arbeiten in einer Stadt und im selben Bordell, nicht zu vergleichen. Jede hat ihre eigene Geschichte, ihre spezifische Motivation für den Job, entscheidet sich für bestimmte sexuelle Dienstleistungen, setzt ihre Grenzen und bestimmt das Honorar und lebt in dem Job ein eigenes Ziel.
Den einen fehlt – beim Einstieg - jegliche schulische und berufliche Ausbildung, während die anderen professionelle Erfahrungen in den verschiedensten Bereichen mitbringen, gern auch einen akademischen Abschluss. Die einen sind jung, sexuell unerfahren, Singles und abenteuerlustig und die anderen sind älter oder alt, Senioren, leben in einer Beziehung oder sind verheiratet und haben Kinder oder sogar Enkelkinder. Wiederum andere verfolgen einen sozialen Zweck, wie z. B. in der Sexualassistenz und finden so ihre Erfüllung.
Die einen brauchen Geld für eine Notsituation, z. B. für die kaputte Waschmaschine oder den Schulausflug der Kinder oder die Eltern in der Heimat, und anderen wollen sich das Studium oder ein eigenes Geschäft oder einfach nur ein angenehmes Leben finanzieren. Immer spielt das Preis-Leistungs-Verhältnis im Vergleich zu anderen Jobs eine besonders große Rolle.
Der Weg zum geeigneten Arbeitsplatz in der Sexarbeit ist oft ein mühsamer. Es gilt die Vorteile der Straße, mit denen des Bordells, der Bar, dem FKK-Wellness-Tempel, dem Studio, dem Tantra-Massagesalon oder dem Laufhaus abzuwägen mit den jeweiligen Herausforderungen, den möglichen Gefahren und den Rahmenbedingungen, die zudem von Stadt zu Stadt und von Bundesland zu Bundesland variieren können.
Wo werden welche sexuellen Dienstleistungen zu welchen Honoraren angeboten? Wo ist eine Anpassung an die örtlichen Gegebenheiten, den Markt unabdingbar und wo lassen sich eigene Maßstäbe setzen?
Alle Sexarbeiter*innen vereint allerdings die gemeinsame Basis, nämlich sexuelle Dienstleistungen gegen ein Entgelt anzubieten.
Tatsächlich sind Sexarbeiter*innen ein buntes Völkchen: freiheitsliebend, mobil, tolerant, sexpositiv und oft große Menschenfreunde.
Trotz der Vielfalt an Menschen und deren Lebensumstände und Motivationen gibt es für keine andere Branche und Berufsgruppe ein solch engmaschiges und vor allem undifferenziertes Netz an gesetzlichen Regulierungen und Auflagen, Überwachung und Kontrolle sowie eine derartige Beratungs- und Registrierungspflicht:
- Sexarbeiter*innen unter 21 Jahren müssen sich jedes halbe Jahr gesundheitlich beraten und einmal pro Jahr registrieren lassen.
- Sexarbeiter*innen über 21 Jahren müssen sich einmal jährlich gesundheitlich beraten und alle zwei Jahre registrieren lassen.
- In den meisten Städten müssen sie für die Bescheinigung für die gesundheitliche Beratung und die Registrierung – den sog. "Hurenausweis" – Gebühren bezahlen.
- Zudem gilt es die von Stadt zu Stadt verschiedenen gesetzlichen Regelungen zu beachten, z. B. die Sperrgebietsverordnungen.
Für manche Sexarbeiter*innen ist die Vorstellung, sich bei einer Behörde registrieren zu lassen und den "Hurenausweis" bei der Arbeit immer bei sich tragen zu müssen, unvorstellbar. Sie vertrauen dem versprochenen Datenschutz nicht und befürchten vielfältige Nachteile. Dies gilt insbesondere bei Sexarbeiter*innen mit Kindern und bei Sexarbeiter*innen, die studieren. Die einen denken an die mögliche Diskriminierung ihrer Kinder und die anderen an ihre weitere berufliche Karriere. Erst recht wenn sie Jura, Medizin oder Betriebswirtschaft studieren, wollen sie einen makellosen Lebenslauf. Auch wollen sie nicht irgendwann einmal bei einem Vorstellungsgespräch mit der Frage konfrontiert werden: "Wie lange haben sie als Escort gearbeitet?"
Beispiele
- Melanie (Sexarbeiterin): "Ich übe den Job einer Sexarbeiterin aus, weil ich dem Alltag entfliehen und Abenteuer erleben will."
- Simone (Sexarbeiterin): "Ich schätze an dem Job die flexiblen Arbeitsmöglichkeiten (Ort und Zeit sind frei wählbar) und ich bekomme sofort Bargeld."
- Elke (Sexarbeiterin): "Ich bin eingestiegen, weil ich das Verruchte so spannend fand, weil ich mehr Geld, als in anderen Berufen, verdienen kann und mich sexuell austoben wollte."
- Nicole (Sexarbeiterin): "Ich verdiene hier mehr Geld als ich in meinem erlernten Beruf. So kann ich mir ein angenehmes Leben ermöglichen. Außerdem stehe ich nicht unter der Fuchtel von einem Chef, der mich rumkommandiert – ich bin selbständig."
- Estelle: "Ich arbeite in einer kleinen, feinen Escortagentur und mache den Job, weil ich Lust auf Sex habe, interessante Männer kennenlerne und in kurzer Zeit mehr verdiene, als in jedem anderen Job. Damit habe ich mir mein Studium finanziert. Die Agentur habe ich seit dem Inkrafttreten des ProstSchG verlassen, arbeite jetzt autonom, d. h. muss die Akquise und den Kundenkontakt allein machen, verdiene weniger und bin schlechter abgesichert.
Forderungen
- Alle Gesetze und Gesetzesänderungen, die Sexarbeiter*innen und die Sexarbeits-Branche betreffen müssen in einem partizipativen Ansatz auch mit den betroffenen Menschen besprochen und diskutiert werden. Es muss gelten: Ohne Beteiligung und Expertise der Betroffenen geht nichts!
- Viele aktuelle Regelungen sind diskriminierend und paternalistisch. Sie gehören deshalb umgehend abgeschafft.
- Viele Regelungen greifen zutiefst in die verfassungsrechtlich verankerte Berufsfreiheit und individuelle Selbstbestimmung sowie Würde des Menschen ein und gehören deshalb abgeschafft.
- Die stigmatisierende Kommunikation über die Branche seitens des Staates und seiner Institutionen soll umgehend eingestellt werden und öffentliche Informationen über die Branche und zu den in ihr tätigen Menschen soll der Vielfalt und tatsächlichen Zuständen und Tatsachen Rechnung tragen.
- Öffentliches Informationsmaterial von staatlichen Institutionen sollte grundsätzlich in mehreren Sprachen sowie einfacher Sprache und barrierearm verfügbar sein, wie es auch für andere Branchen und Menschengruppen üblich ist.
- Alle von staatlicher Seite ausgegebenen Informationen über die Menschen in dieser Branche und Informationen, die sich an die Menschen in dieser Branche richten, sollten immer den Tatsachen und Fakten entsprechen und sollten immer vor Herausgabe einem Faktencheck unterzogen werden. Die Expertise der Menschen in dieser Branche sowie von Fachberatungsstellen und der Wissenschaft muss grundsätzlich einbezogen werden.
- Alle gesetzlichen Regelungen und Vorschriften, die diese Branche betreffen, sollten IMMER in Zusammenarbeit mit den betroffenen Menschen überarbeitet oder neu entwickelt werden und müssten stehts auf Fakten beruhen – wie es auch in allen anderen Branchen üblich ist. Gesetze, die über die Köpfe der betroffenen Menschen hinweg erlassen wurden, müssen auf die tatsächlichen Gegebenheiten hin überprüft und gegebenenfalls angepasst werden.
- Alle Gesetze, die dem Schutzgedanken des ProstSchG zuwiderlaufen und nicht den verbrieften Grundrechten des Grundgesetzes sowie der UN- und EU-Menschenrechts-Charta entsprechen und den dort getroffenen Regelungen zuwiderlaufen sind schnellstmöglich zu überarbeiten und entsprechend zu ändern, damit die Grundrechte gewahrt werden.