- #ProstSchG
Anmeldepflicht
Der umgangssprachliche „Hurenausweis“ ist entwürdigend und erinnert an dunkle Kapitel der dt. Geschichte. Er ist ein Zwangsouting. Was empfinden Betroffene?
Gesetzeslage
Nach dieser Bestimmung müssen Menschen in der Sexarbeit sich bei einer Behörde anmelden und zwar vor Aufnahme der Tätigkeit. Die folgenden Paragraphen regeln dann die Details, wie mitzubringende Unterlagen, Kosten, kurze Gültigkeit und damit indirekt die Pflicht zur ständigen Wiederholung dieser Anmeldung und die Pflicht, diesen Ausweis bei der Arbeit bei sich führen zu müssen.
Betroffene sprechen umgangssprachlich vom „Hurenausweis“. Er ist verhasst, weil er diskriminierend und gefährlich ist. Er bietet vor allem keinerlei Schutz – eher das Gegenteil ist der Fall.
Aufgrund des Fotos und der Bezeichnung „Anmeldung nach § 3 ProstSchG“ ist die Person eindeutig als Sexarbeiter*in zu erkennen. Die Bescheinigung ist während der Arbeit bei sich zu tragen (§ 5 Abs. 7 ProstSchG).
Damit besteht immer die Gefahr, dass jemand von der Familie, wie z. B. die eigenen Kinder oder der Freundeskreis von der Tätigkeit erfährt, die wegen der befürchteten Diskriminierung meist geheim gehalten wird. Auch befürchten viele, dass bei einer Verkehrskontrolle oder einem Unfall die Ordnungskräfte in der Tasche nachschauen, so von der Tätigkeit erfahren und die Sexarbeiter*in schlecht behandeln.
Um einige Probleme mit der Anmeldepflicht zu umgehen, besteht unter Umständen die Möglichkeit eine sogenannte Aliasbescheinigung zu beantragen (§ 5 Abs. 6 ProstSchG), die eine besondere Form der Anmeldebescheinigung darstellt. Hier wird im Ausweisdokument anstelle des richtigen Namens ein Künstlername verwendet. Aber dies ist keine echte Aliasbescheinigung, weil anhand des Fotos und dem Hinweis auf die "Anmeldung nach § 3 ProstSchG" die Prostitutionstätigkeit der Person eindeutig klar ist.
Das von den meisten Sexarbeiter*innen gewählte „Doppelleben“ ist leider eine absolute Notwendigkeit, um sich und ihre Lieben vor Diskriminierung zu schützen, denn unsere Gesellschaft ist meist nicht tolerant gegenüber den Akteuren der Sexarbeitsbranche. Das gesellschaftliche Stigma, die ständige Verteufelung und das Verbreiten von Geschichten nach dem Schema „Sex & Crime“ halten sich hartnäckig trotz mancher rechtlicher Liberalisierungen, Aufklärung und deutlich anders aussehender Fakten.
Im Zeitalter der Digitalisierung ist auch völlig unverständlich, warum ein „persönliches“ Erscheinen (§ 8 Abs. 1 ProstSchG) bei der Behörde verlangt wird. Zwar ist der gedachte Zweck, dass die Behörde einen Fall von Zwang erkennt und dann helfen kann, nachvollziehbar, trifft aber zum einen auf die meisten Menschen in der Sexarbeit nicht zu und zum anderen ist es nachweislich nicht effektiv und wirksam. Zumal den Personen in der Behörde oft das notwendige Fachwissen fehlt.
Gesetzt dem seltenen Fall, dass jemand zur Prostitution gezwungen wird, erhält die betroffene Person sehr wahrscheinlich entsprechende Instruktionen, wie man sich bei der Behörde zu verhalten hat. Ein Abhängigkeits- oder Gewaltverhältnis lässt sich jedoch nachweislich nur in einem Vertrauensverhältnis angehen. Dies besteht zu einer fremden Person in einer Behörde auf keinen Fall, denn man ist ja abhängig von ihr und braucht zur Ausübung der Tätigkeit die Anmeldebescheinigung. Also wird eine Person in einem Abhängigkeitsverhältnis ihre Situation verschleiern, beschönigen, verschweigen und ggf. einfach mit dem Kopf schütteln und auf Durchzug stellen.
Darüber hinaus ist völlig unverständlich, warum eine Sexarbeiterin unter 21 Jahren diese Anmeldebescheinigung jedes Jahr verlängern lassen muss und eine Sexarbeiterin über 21 Jahren alle zwei Jahre.
Das ist eine engmaschige und regelmäßige Kontrolle durch eine Ordnungsbehörde, die es für keinen anderen Beruf gibt. Das ist paternalistisch, gängelnd, wenig respektvoll und extrem eingreifend in die Autonomie von Menschen in der Sexarbeit und wird von diesen auch überwiegend so empfunden.
Auch erschwert die unterschiedliche personelle Ausstattung der verschiedenen Behörden den Zugang zu betroffenen Menschen:
- Oft sind Termine erst in Wochen (!) erhältlich.
- Der Termin muss mit dem Termin bei einer anderen Behörde/einer anderen Abteilung für die gesundheitliche Beratung koordiniert werden.
- Oft erhält man nicht sofort nach dem Termin den Ausweis, sondern erst in einigen Tagen (nach § 5 Abs. 1 ProstSchG innerhalb von fünf Werktagen).
- Das bedeutet, dass man erneut warten muss, was für Sexarbeiter*innen aus dem Ausland ein großes Problem und einen besonders schwerwiegenden finanziellen Faktor darstellt: Sie hat den Termin für die Arbeit im Bordell vereinbart. Für die Anmeldung muss sie ebenfalls einen Termin vereinbaren, aber wenn sie nicht sofort die Bescheinigung bekommt, muss sie sich in einem Hotel einmieten und warten. Das bedeutet zusätzliche Kosten, ggf. einen finanziellen Ausfall oder sogar – bei schlechter Koordination – den Verlust des Arbeitsplatzes, weil der Termin überschritten ist.
Warum wurden für Sexarbeiter*innen diese Regelungen geschaffen, die es für keine andere Branche gibt?
Glücklicherweise stellen die durchführenden Behörden inzwischen den „Hurenausweis“ gültig für alle 16 Bundesländer aus, d. h. Sexarbeiter*innen können damit im gesamten Bundesgebiet arbeiten und müssen sich nicht in jedem Bundesland erneut anmelden (das galt noch in den ersten Monaten nach dem Inkrafttreten des ProstSchG).
Leider führt diese Regelung aber auch zu unerwünschten Ausschlüssen von der legalen Arbeit in dieser Branche in Deutschland. Nämlich bei all denjenigen, die nach anderen Gesetzen, wie dem Aufenthaltsgesetz (AufenthG) über keine Erlaubnis zur abhängigen oder selbstständigen
Tätigkeit verfügen. Das sind z. B.:
- Touristen*innen
- Geflüchtete
- Drittstaatler*innen
So kommt das ProstSchG primär deutschen Bürger*innen, Unionsbürger*innen und Personen mit einem Aufenthalts- und Arbeitsrecht zu Gute und treibt alle anderen in die Illegalität mit den erschwerten und oft gefahrvollen Bedingungen und Konsequenzen.
Außerdem erinnert der „Hurenausweis“ an unrühmliche Regelung der Vergangenheit. Sexarbeiter*innen wurden schon immer gesondert überprüft und registriert:
- Vor der Einführung des Infektionsschutzgesetzes mussten Sexarbeiter*innen einen sog. Bockschein bei sich tragen. Er wurde nach einer gynäkologischen Untersuchung auf Geschlechtskrankheiten und einer Kontrolle des Blutes bzgl. Syphilis und HIV/AIDS ausgestellt. Aus wissenschaftlicher und medizinischer Sicht war er kontraproduktiv und wurde 2001 gänzlich abgeschafft.
- Bei örtlichen Polizeistellen gibt es – immer noch – die unrühmliche Prostituiertenkartei. Alle Personen (z. B. Sexarbeiter*innen, Bordelbetreiber*innen, Kunden*innen, Pizzaboten, Kondomverkäufer) werden hier registriert, die in irgendeiner Form mit der Branche in Kontakt kommen, sei es bei einem „vertrauensvollen“ Besuch im Bordell, bei einer Razzia, nach einer Anzeige oder im Rahmen eines Gerichtsverfahrens.
Keine andere Personengruppe ist so stark diskriminiert und stigmatisiert. Und keine andere Branche muss sich ständig gegen den Vorwurf wehren, kriminell zu sein und wird derart überwacht.
Wichtig in diesem Kontext sind die Zahlen und die Herkunftsländer der Sexarbeiter*innen. Das ist eindeutig ein Plus des ProstSchG, denn erstmalig liegen valide Zahlen vor und widersprechen stark den vorher immer wieder genannten Zahlen: während die einen von 100.000 bis 400.000 oder sogar 1 Millionen Sexarbeiter*innen sprachen und damit versuchten, ihre politischen Ziele dramatisch zu untermauern, geben die Zahlen des Statistischen Bundesamtes ein völlig anderes Bild:
Diese Zahlen haben das Niveau von vor der Corona-Pandemie (ca. 40.000 Sexarbeiter*innen) noch nicht erreicht. Die Zahlen steigen seitdem langsam – viele Sexarbeiter*innen sind nicht in die Bordelle zurückgekommen.
Realistische Schätzungen – unter Berücksichtigung der Größe der Städte und der Einwohnerzahlen insgesamt – gehen von 60.000 - 80.000 Sexarbeiter*innen in Deutschland aus, wobei ein großer Teil nicht durchgängig tätig ist, sondern den Job ein bis drei mal pro Woche, eine Woche im Monat oder nur zwei bis drei Monate im Jahr ausübt.
Hier wird wieder einmal deutlich, dass Sexarbeit kein Job ist wie jeder andere: kaum eine Sexarbeiter*in ist so diszipliniert und arbeitet regelmäßig fünf Tage die Woche.
Die meisten genießen die Freiheiten, die mit diesem Job verbunden sind und arbeiten dann, wenn sie Geld brauchen. Oder wenn sie Lust dazu haben. Sexarbeiter*innen sind sehr mobil und freiheitsliebend.
Beispiele
- Lydia (Sexarbeiterin): „Ich habe nicht Angst vor meiner eigenen Diskriminierung, sondern die meiner Kinder. Ich muss unbedingt verhindern, dass die anderen Eltern in der Kita und in der Schule von meiner Sexarbeit erfahren. Sie würden dann meine Kinder nicht mehr zu sich nach Hause oder zu einem Geburtstag einladen.“
- Anna (Sexarbeiterin): „Ich arbeite schon seit 15 Jahren in der Sexarbeit. Was soll diese permanente Kontrolle? Glaubt der Gesetzgeber, dass Sexarbeiter*innen sich im Laufe der Berufsjahre nicht fortentwickelt und professionalisiert haben? Für mich ist diese Kontrolle entmündigend.“
- Eve (Sexarbeiterin): „Würde es nicht reichen, dass wir einmal zur Behörde gehen? Das schließt doch nicht aus, dass eine Kollegin sich trotzdem bei einer Behörde meldet, wenn sie Infos oder auch Unterstützung braucht. Das wäre dann allerdings auf freiwilliger Basis. Diese Pflicht ist unerträglich.“
- Miriam (Sexarbeiterin): „Typisch Staat: er nimmt uns nicht ernst und will immer wieder überprüfen, ob wir den Job auch freiwillig machen. Beim Thema Steuern verhält er sich dann genau umgekehrt: Egal was ist, Steuern muss man immer zahlen!“
- Beti (Sexarbeiterin): „Ich musste fünf Tage – übers Wochenende – auf meinen Hurenausweis warten. Am Donnerstag war ich bei der Behörde. Aber am Montag hätte ich im Bordell mit der Arbeit beginnen müssen. Dort mietet man sich im Wochenrhythmus ein. Den Hurenausweis bekam ich am Mittwoch. Dadurch konnte ich am Montag nicht mit der Arbeit beginnen. Sie haben dann den Platz vergeben. Und ich stand leer da. Ich bin doch gekommen, um Geld zu verdienen und nicht um Urlaub zu machen.“
- Natalie (Sexarbeiterin): „Ich bin sehr stolz auf meine Anmeldebescheinigung – beweist sie doch, dass ich alles richtig gemacht habe, dass ich die Gesetze beachte und, was noch wichtiger ist, dass ich freiwillig der Prostitution nachgehe, denn das hat ja die Behörde geprüft.“
- Agnes (Sexarbeiterin): „Ich bin stolz auf meinen Hurenausweis und meine Bestätigung für die gesundheitliche Beratung. Sie beweisen, dass ich alles richtig mache, die Gesetze einhalte und freiwillig als Sexarbeiterin arbeite. Der Staat schützt mich und erkennt meine Rechte an.“
- Marina (Sexarbeiterin): „Ich bin stolz auf meinen Hurenausweis. Damit habe ich die Zusicherung, dass ich auf dem Boden des Gesetze stehe. Ich brauche mich nicht mehr verstecken oder Angst vor Behörden haben. Meine ganze Energie kann ich so in den Job stecken. Das ist mir wichtig.“
Forderungen
- Eine einmalige Anmeldung ist völlig ausreichend.
- Eine einmalige Vorlage der Anmeldung in einem Bordell muss ausreichen, so dass sie nicht immer ständig mitgeführt werden muss. Das Bordell kann eine Fotokopie für eventuelle Kontrollen vorliegen haben.
- Die Anmeldung sollte auch digital möglich sein, so das man diese aus dem Ausland vornehmen kann. Die vorgeschriebenen Informationen lassen sich ebenfalls digital vermitteln.
- Für Personen außerhalb des anerkannten Personenkreises sollte es – wie z. B. für Kunstschaffende – eine befristete Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis in der Sexarbeit geben.