- #ProstSchG
Beratungspflicht
Der Zwang zur gesundheitlichen Beratung ist eine aufwendige, teure und bürokratische Hürde, die Betroffene als entwürdigende Schikane empfinden. Warum?
Gesetzeslage
Menschen in der Sexarbeit müssen sich regelmäßig, d. h. alle zwölf Monate gesundheitlich beraten lassen. Darüber erhalten sie eine Bescheinigung. Diese Bescheinigung darf bei der ersten Anmeldung nicht älter als drei Monate sein. Wenn eine Person unter 21 Jahren alt ist, muss sie sich sogar mindestens alle sechs Monate beraten lassen.
Laut Gesetzestext sollen Inhalt der gesundheitlichen Beratung die folgenden Themen sein:
- Fragen der Krankheitsverhütung,
- Fragen der Empfängnisverhütung,
- Fragen der Schwangerschaft,
- Risiken des Alkohol- und Drogengebrauchs.
Dies ist eine abschließende Liste, die die Sozialarbeiter*innen keineswegs nach ihrem Gusto erweitern dürfen, denn sie haben einen gesetzlichen Auftrag zu erfüllen und nach der gesundheitlichen Pflichtberatung die Bescheinigung darüber auszustellen.
Dies ist keine ergebnisoffene Sozialarbeit, wie sie Sozialarbeiter*innen einer Fachgeratungsstelle oder des Gesundheitsamtes nach dem Infektionsschutzgesetz anbieten und wohin sich Menschen in der Sexarbeit freiwillig hinwenden.
- In keiner anderen Branche gibt es ein so engmaschiges Netz von Pflichtberatungen und Pflichtanmeldungen. Den betroffenen Menschen wird quasi abgesprochen, selbstverantwortlich und professionell im Job tätig zu sein. Damit handelt es sich um eine weitere Sonderregelung. Wer z. B. in der Lebensmittelbranche arbeitet, muss sich ein einziges Mal informieren und erhält darüber eine lebenslang gültige Bescheinigung. Die "Beratung" erfolgt inzwischen häufig digital, d. h. man liest sich selbständig die Informationen auf einem Bildschirm durch. Diese Indiskrepanz ist insbesondere absurd, da die Lebensmittelbranche eine viel größere Verantwortung gegenüber der Bevölkerung trägt und ein Fehlverhalten viel gravierendere Folgen für tausende Menschen haben kann.Die rote Karte – das Gesundheitszeugnis – wird einmalig ausgestellt.
- Es werden bei der Verpflichtung weder das Alter des Betroffenen, der Länge der Berufstätigkeit noch der eigene Wille berücksichtigt, also ob die Person diese Beratung für sich als nötig und richtig erachtet. Erfahrene Sexarbeiter*innen verfügen in der Regel über ein großes Wissen über Körper, Geist und Gesundheitsschutz, denn ein gesunder Körper ist ihr Kapital.
- Es gibt keine Alternative: Die Person muss zur Behörde. Eine Beratung bei einer Fachberatungsstelle für Prostituierte oder anderen gleichwertigen Institution wird nicht anerkannt.
- Bei vielen Behörden muss die beratene Person für diese Pflichtberatung jedesmal auch noch eine Gebühr bezahlen: meist 35,00 Euro.
- Über die gesundheitliche Beratung erhält die Person eine Bescheinigung, die sie zusammen mit dem "Hurenausweis" bei der Arbeit bei sich tragen muss.
- Es gibt keine bundeseinheitliche gesundheitliche Bescheinigung. So stehen Bordellbetreibende, die beide Papiere prüfen müssen, vor der Frage: Ist das Dokument echt oder gefälscht? Ist das Dokument unecht, werden sie gegebenenfalls dafür zur Rechenschaft gezogen und müssen ein Bussgeld zahlen.
- Die Beratungsstellen bei den Behörden mussten nach der Verabschiedung des ProstSchG bzw. nach dessen Inkrafttreten neu aufgebaut werden. Erst viel später wurde ein Leitfaden für eine einheitliche, qualifizierte Beratung entwickelt. Aber nach den holbrigen Anfangsjahren treffen Sexarbeiter*innen immer noch auf schlecht ausgebildete Sozialarbeiter*innen, die ein niedrigeres Wissensniveau haben als erfahrene Menschen in der Sexarbeit. Das empfinden Sexarbeiter*innen häufig als entwürdigend. Gefährlich kann es werden, wenn potenziell gesundheitsschädigende Falschinformationen an die betroffenen Menschen weitergegeben werden.
- Oft stellen Sozialarbeiter*innen – aus eigenem Interesse oder aus der Sorge heraus, ein Menschenhandelsopfer oder eine Person in Not, nicht identifiziert zu haben – Fragen, die weit über den gesetzlichen Auftrag hinaus gehen, z. B.: "Was sagt dein Mann oder deine Eltern zu deinem Job?", "Wissen deine Kinder davon?", "Wen unterstützt du mit deinem Einkommen?", "Sparst du Geld?". Aus Angst die Bescheinigung nicht zu erhalten, beantworten die Betroffenen oft diese sehr persönlichen Fragen, die niemanden etwas angehen.
Viel wichtiger wäre endlich ein deutschlandweit einheitliches, freiwilliges, attraktives und nützliches Professionalisierungsangebot, ähnlich dem Angebot von profiS. Sexarbeiter*innen könnten entsprechend ihrer Bedarfe geschulte Trainer*innen ins Bordell einladen und in einem oder mehreren Workshop aus mehreren relevanten Themen die abrufen, die sie benötigen.
Wie in der Schule gilt auch hier der Grundsatz: Die Infos müssen auch umgesetzt werden (können). Das bedarf der Freiwilligkeit, Offenheit und dem individuellen Interesse. Keiner Pflicht!
Wichtige Auskünfte über die Bedarf von Sexarbeiter*innen gibt die Studie der DAH "Was brauchen Sexarbeiter*innen für ihre Gesundheit?"
Beispiele
- Sophie (Sexarbeiterin): "Ich arbeite schon seit mehr als 20 Jahren als Sexarbeiterin. Ich empfinde es als unwürdig und auch nicht im Sinne des Gesetzes als effizient, wenn ich mich jedes Jahr von einer Sozialarbeiterin über die gesundheitlichen Belange meines Berufes beraten lassen muss. Diese Sozialarbeiterin ist sicher jünger als ich und kennt meinen Beruf nicht. Ich bin die Expertin! Und leider stellt die Sozialarbeiterin mir meist viele Fragen. Sie will mehr über meinen Beruf erfahren. Da berate wohl ich sie. Aber das ist nicht Sinn dieses Gesetzes und mit Schutz hat das wenig zu tun."
- Maria (Sexarbeiterin): "Ich bin 19 Jahre alt, arbeite seit drei Jahren in Deutschland. Ich habe kein Vertrauen zu einer fremden Person in einer Behörde – zumal ich von ihr abhängig bin und die Bescheinigung brauche. Ich gehe jedes halbe Jahr nur dorthin, weil ich muss. Sonst kann ich in keinem Bordell arbeiten. Aber wenn ich bei der Behörde bin, stelle ich inzwischen auf "Durchzug" und nicke immer. Wenn ich Fragen zum Job und gesundheitlichen Dingen habe, frage ich lieber meine Kolleginnen. Die sind mir vertrauter."
- Nicole (Sexarbeiterin): "Mich hat tatsächlich die Sozialarbeiterin aufgefordert zu zeigen – an einem Holzpenis –, wie ich ein Kondom aufsetze!"
Forderungen
- Es reicht eine einmalige gesundheitliche Beratung nach einem deutschlandweit einheitlichen Beratungsleitfaden.
- Die Beratung soll bei einer frei wählbaren Beratungsstelle, z. B. einer Behörde oder einer Fachberatungsstelle, einem Gesundheitsamt oder einer anderen Einrichtung, erfolgen können.
- Die Beratung muss gebührenfrei sein.
- Die Pflicht zur gesundheitliche Beratung muss gänzlich abgeschafft und durch eine freiwillige Beratung ersetzt werden.
- Im Rahmen der (einmaligen) Pflichtanmeldung für den Hurenausweis könnten die gesundheitlichen Themen ressourcenschonend per Audio, Flyer oder Video vermittelt werden.
Links & Quellen
- Willems/DAH (2024), Was brauchen Sexarbeiterinnen/GesundheitBedeutend an dieser Studie ist, dass sie partizipativ, d. h. mit Sexarbeiter*innen durchgeführt wurde. Neben vielen Forderungen auf der gesundheitlichen Ebene wird immer wieder erwähnt, wie belastend die Diskussion um ein mögliches Sexkaufverbot empfunden wird und was die rechtliche und gesellschaftliche Diskriminierung bedeutet.https://www.aidshilfe.de/medien/md/was-brauchen-sexarbeiterinnen-fuer-ihre-gesundheit/