Beratungspflicht

Der Zwang zur gesundheitlichen Beratung ist eine aufwendige, teure und bürokratische Hürde, die Betroffene als entwürdigende Schikane empfinden. Warum?

Gesetzeslage

§ 10 Abs. 1 + 3 ProstSchG: (1) Für Personen, die als Prostituierte tätig sind oder eine solche Tätigkeit aufnehmen wollen, wird eine gesundheitliche Beratung durch eine für den Öffentlichen Gesundheitsdienst zuständige Behörde angeboten. Die Länder können bestimmen, dass eine andere Behörde für die Durchführung der gesundheitlichen Beratung zuständig ist. (3) Personen, die eine Tätigkeit als Prostituierte oder als Prostituierter ausüben wollen, müssen vor der erstmaligen Anmeldung der Tätigkeit eine gesundheitliche Beratung wahrnehmen. Die gesundheitliche Beratung erfolgt bei der am Ort der Anmeldung nach Absatz 1 zuständigen Behörde. Nach der Anmeldung der Tätigkeit haben Prostituierte ab 21 Jahren die gesundheitliche Beratung mindestens alle zwölf Monate wahrzunehmen. Prostituierte unter 21 Jahren haben die gesundheitliche Beratung mindestens alle sechs Monate wahrzunehmen.

Menschen in der Sexarbeit müssen sich regelmäßig, d. h. alle zwölf Monate gesundheitlich beraten lassen. Darüber erhalten sie eine Bescheinigung. Diese Bescheinigung darf bei der ersten Anmeldung nicht älter als drei Monate sein. Wenn eine Person unter 21 Jahren alt ist, muss sie sich sogar mindestens alle sechs Monate beraten lassen.

Laut Gesetzestext sollen Inhalt der gesundheitlichen Beratung die folgenden Themen sein:

  • Fragen der Krankheitsverhütung,
  • ⁠Fragen der Empfängnisverhütung,
  • Fragen der Schwangerschaft,
  • Risiken des Alkohol- und Drogengebrauchs.

Dies ist eine abschließende Liste, die die Sozialarbeiter*innen keineswegs nach ihrem Gusto erweitern dürfen, denn sie haben einen gesetzlichen Auftrag zu erfüllen und nach der gesundheitlichen Pflichtberatung die Bescheinigung darüber auszustellen.

Dies ist keine ergebnisoffene Sozialarbeit, wie sie Sozialarbeiter*innen einer Fachgeratungsstelle oder des Gesundheitsamtes nach dem Infektionsschutzgesetz anbieten und wohin sich Menschen in der Sexarbeit freiwillig hinwenden.

  1. In keiner anderen Branche gibt es ein so engmaschiges Netz von Pflichtberatungen und Pflichtanmeldungen. Den betroffenen Menschen wird quasi abgesprochen, selbstverantwortlich und professionell im Job tätig zu sein. Damit handelt es sich um eine weitere Sonderregelung. Wer z. B. in der Lebensmittelbranche arbeitet, muss sich ein einziges Mal informieren und erhält darüber eine lebenslang gültige Bescheinigung. Die "Beratung" erfolgt inzwischen häufig digital, d. h. man liest sich selbständig die Informationen auf einem Bildschirm durch. Diese Indiskrepanz ist insbesondere absurd, da die Lebensmittelbranche eine viel größere Verantwortung gegenüber der Bevölkerung trägt und ein Fehlverhalten viel gravierendere Folgen für tausende Menschen haben kann.
    Rote Karte - Gesundheitszeugnis.jpg
    Die rote Karte – das Gesundheitszeugnis – wird einmalig ausgestellt.
  2. Es werden bei der Verpflichtung weder das Alter des Betroffenen, der Länge der Berufstätigkeit noch der eigene Wille berücksichtigt, also ob die Person diese Beratung für sich als nötig und richtig erachtet. Erfahrene Sexarbeiter*innen verfügen in der Regel über ein großes Wissen über Körper, Geist und Gesundheitsschutz, denn ein gesunder Körper ist ihr Kapital.
  3. Es gibt keine Alternative: Die Person muss zur Behörde. Eine Beratung bei einer Fachberatungsstelle für Prostituierte oder anderen gleichwertigen Institution wird nicht anerkannt.
  4. Bei vielen Behörden muss die beratene Person für diese Pflichtberatung jedesmal auch noch eine Gebühr bezahlen: meist 35,00 Euro.
  5. Über die gesundheitliche Beratung erhält die Person eine Bescheinigung, die sie zusammen mit dem "Hurenausweis" bei der Arbeit bei sich tragen muss.
  6. Es gibt keine bundeseinheitliche gesundheitliche Bescheinigung. So stehen Bordellbetreibende, die beide Papiere prüfen müssen, vor der Frage: Ist das Dokument echt oder gefälscht? Ist das Dokument unecht, werden sie gegebenenfalls dafür zur Rechenschaft gezogen und müssen ein Bussgeld zahlen.
  7. Die Beratungsstellen bei den Behörden mussten nach der Verabschiedung des ProstSchG bzw. nach dessen Inkrafttreten neu aufgebaut werden. Erst viel später wurde ein Leitfaden für eine einheitliche, qualifizierte Beratung entwickelt. Aber nach den holbrigen Anfangsjahren treffen Sexarbeiter*innen immer noch auf schlecht ausgebildete Sozialarbeiter*innen, die ein niedrigeres Wissensniveau haben als erfahrene Menschen in der Sexarbeit. Das empfinden Sexarbeiter*innen häufig als entwürdigend. Gefährlich kann es werden, wenn potenziell gesundheitsschädigende Falschinformationen an die betroffenen Menschen weitergegeben werden.
  8. Oft stellen Sozialarbeiter*innen – aus eigenem Interesse oder aus der Sorge heraus, ein Menschenhandelsopfer oder eine Person in Not, nicht identifiziert zu haben – Fragen, die weit über den gesetzlichen Auftrag hinaus gehen, z. B.: "Was sagt dein Mann oder deine Eltern zu deinem Job?", "Wissen deine Kinder davon?", "Wen unterstützt du mit deinem Einkommen?", "Sparst du Geld?". Aus Angst die Bescheinigung nicht zu erhalten, beantworten die Betroffenen oft diese sehr persönlichen Fragen, die niemanden etwas angehen.

Viel wichtiger wäre endlich ein deutschlandweit einheitliches, freiwilliges, attraktives und nützliches Professionalisierungsangebot, ähnlich dem Angebot von profiS. Sexarbeiter*innen könnten entsprechend ihrer Bedarfe geschulte Trainer*innen ins Bordell einladen und in einem oder mehreren Workshop aus mehreren relevanten Themen die abrufen, die sie benötigen.

Wie in der Schule gilt auch hier der Grundsatz: Die Infos müssen auch umgesetzt werden (können). Das bedarf der Freiwilligkeit, Offenheit und dem individuellen Interesse. Keiner Pflicht!

Wichtige Auskünfte über die Bedarf von Sexarbeiter*innen gibt die Studie der DAH "Was brauchen Sexarbeiter*innen für ihre Gesundheit?"

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Beispiele

Forderungen

Links & Quellen