Digitalisierung

Digitalisierung soll helfen, die Bürokratie abzubauen und den Zugang für alle Menschen zu verbessern. Warum gilt das nicht für Sexarbeiter*innen?

Gesetzeslage

OZG: Das ”Gesetz zur Verbesserung des Onlinezugangs zu Verwaltungsleistungen – Onlinezugangsgesetz (OZG)“ verpflichtet Bund und Länder, ihre Verwaltungsleistungen bis Ende 2022 auch elektronisch über Verwaltungsportale anzubieten. Konkret beinhaltet das zwei Aufgaben: Digitalisierung und digitale Vernetzung. Zum einen müssen Verwaltungsleistungen auf Bundes-, Länder- und kommunaler Ebene digitalisiert werden. Zum anderen muss eine IT-Infrastruktur geschaffen werden, die jeder Nutzerin und jedem Nutzer den Zugriff auf die Verwaltungsleistungen mit nur wenigen Klicks ermöglicht. Die Nutzerorientierung hat bei der OZG-Umsetzung oberste Priorität. Das heißt, alle Digitalisierungsprozesse sind an den Bedürfnissen der Nutzerinnen und Nutzer ausgerichtet.

Sexarbeiter*innen müssen persönlich zur gesundheitlichen Beratung und Registrierung bei der jeweiligen Behörde erscheinen. Sie müssen ihren Personalausweis oder ein anderes Ausweisdokument vorlegen und ggf. eine Gebühr bezahlen. ⁠Hinzu kommt, dass dies nicht eine einmalige bürokratische Angelegenheit ist, wie in vielen anderen Branchen.

Sexarbeiter*innen müssen sich alle zwölf Monate erneut gesundheitlich beraten lassen (Personen unter 21 Jahren sogar jedes halbe Jahr) und ihre Registrierung alle zwei Jahre (Personen unter 21 Jahren sogar jedes Jahr) erneuern lassen. Es handelt sich also um eine Regelmäßigkeit.

Dabei entsteht besonders für Sexarbeiter*innen aus dem Ausland ein großes Problem: Sie vereinbaren einen festen Termin mit dem Bordell, in dem sie arbeiten möchte, reisen dann an, dürfen aber erst mit der erfolgten Registrierung arbeiten. Dies kann aus mehreren Gründen einige Tage in Anspruch nehmen:

  • Zunächst braucht sie den Termin zur gesundheitlichen Beratung. Den kann sie meist nicht telefonisch aus dem Ausland bekommen. Wenn sie Glück hat, akzeptiert die Behörde die Terminanfrage durch das Bordell.
  • Hat sie die Bescheinigung der gesundheitlichen Beratung, kann sie den Termin zur Registrierung anschließen. Doch selten folgt dieser Termin auf die gesundheitlichen Beratung. Unter Umständen findet der Termin auch noch in einem anderen Haus statt und oft koordinieren beide Behörden ihre Termine nicht. So vergehen weitere Tage.
  • Unter Umständen stellt die Anmelde-Behörde den "Hurenausweis" auch nicht sofort aus. Das kann bis zu fünf Werktage dauern (§ 5 Abs. 1 ProstSchG). So muss sie weitere Tage warten.

In diesen Tagen muss sie ggf. in einem Hotel übernachten. Das kostet oft Geld, was die Betroffenen nicht haben und birgt viel Frust. Für die meisten ist das verlorene Zeit. Zeit, in der sie eigentlich arbeiten und Geld verdienen könnten.

Einige Sexarbeiter*innen umgehen diese Probleme und melden sich in Städten mit besserer Terminkoordination an. Doch das kann heute Berlin sein, aber morgen schon nicht mehr, weil Personal weggefallen ist. Dann muss sie sich umorientieren. Vielleicht nach Hamburg, Wesel oder Regensburg, weil gerade die Meldung einer Kollegin kam, dass es dort schnell und unkompliziert ging? Hat sie dann endlich einen schnellen Termin, kann dort bei der Behörde das Personal wegen Krankheit ausfallen. So wird die Pflicht zur gesundheitlichen Beratung und Registrierung eine Tortur. Die Folgen sind, dass sich einige dem ganzen entziehen und ohne Registrierung auf Haus- und Hotelbesuche oder die Anmietung von dubiosen Wohnungen ausweichen, was nicht selten die Gefahren für diese Frauen erhöht.

Das dient auf keinen Fall dem Schutzgedanken des ProstSchG!

Die Pflichtberatung und -anmeldung stellen eine bürokratische Hürde dar und gewähren an sich keinen messbaren Schutz (weitere Ausführungen: § 3 Anmeldepflicht für Prostituierte). Daher sollte diese auf Digitalisierung umgestellt werden. Das wäre zeitgemäß und ist allgemein erklärter Wille der Bundesregierung. Technisch ist das kein Problem und in anderen Branchen längst üblich.

Länder wie Estland, haben es uns längst vorgemacht. Zwar nicht im Bereich der Prostitution, doch im allgemeinen Zuwanderungsbereich. Wer in Estland leben und arbeiten will, kann vom Ausland aus – komplett digital – die Anmeldung vornehmen, eine ID-Karte digital beantragen und erhalten sowie ein Bankkonto eröffnen.

Diese Digitalisierung würde nicht nur Sexarbeiter*innen entlasten und unterstützen, sondern auch beim Bürokratieabbau helfen, Gelder einsparen und die sowieso schon überlasteten und personell unterbesetzen Behörden entlasten.

Beispiel

Forderungen