Corona

Die Corona-Pandemie zeigte, wie wenig Sexarbeit integriert ist und welche drastischen Auswirkungen Verbote hatten. Was waren die Folgen für die Betroffenen?

Gesetzeslage

§ 28 und 28a IfSG legt die Befugnisse der Behörden zur Anordnung von Maßnahmen zur Bekämpfung von Infektionskrankheiten fest.

Die Corona-Pandemie hat allen und überall große Probleme bereitet. In Deutschalnd wurde von einer auf die andere Sekunde fast das gesamte öffentliche Leben lahmgelegt.

  • ⁠Alle Prostitutionsstätten mussten schließen. Damit liefen für die Betreiber*innen die Kosten (Miete, Strom, Heinzung, Telefon/Internet, Kredite, Personalkosten, etc.) zwar weiter, Einnahmen konnten aber nicht mehr erwirtschaftet werden.
  • Sexarbeiter*innen verloren quasi über Nacht nicht nur ihren Arbeitsplatz im Bordell, sondern häufig auch ihren Schlafplatz. Viele konnten nicht mehr in ihre Heimatländer zurückkehren, weil auch der Transport weitestgehend still stand. Sie standen z. T. auf der Straße und wussten nicht, wie sie ihren Lebensunterhalt sichern sollten.
  • Kund*innen fielen in ein tiefes Loch, hatten mit Depressionen und Selbstmordabsichten zu tun, weil der Kontakt zu einer Sexarbeiter*in oft der einzige zwischenmenschliche, körpernahe und befriedigende Kontakt war.

Die Prostitutionsbranche war fast die letzte Branche, die nach einem kurzen Auf und wieder Zu dann endlich, oft mit einem einschränkenden Schritt (nur Massagen waren in einigen Bundesländern zunächst erlaubt), wieder öffnen durften. Noch heute kämpft die Branche mit den Nachwirkungen:

  • Nicht alle Bordelle haben wieder eröffnet. Sie haben die Durststrecke nicht überstanden und bleiben für immer geschlossen.
  • Nicht alle Sexarbeiter*innen sind zurückgekommen. Viele Bordelle sind noch weitestgehend leer, es herscht Personalmangel.
  • Manche Sexarbeiter*innen haben während der Corona-Pandemie andere Wege des Geldverdienens entdeckt: sie arbeiten privat mit einem kleinen Kundenstamm, andere mache nur noch Haus- und Hotelbesuche und wieder andere sind in (Ferien-)Wohnungen unterwegs und müssen diese ständig wechseln, weil es Wohnungen sind und keine Prostitutionsstätten - also auch keine Erlaubnis nach dem ProstSchG haben.

Die Corona-Pandemie hat die Sexarbeiter*innen und Bordellbetreiber*innen stark an den Behörden und der Politik zweifeln lassen. Alle Briefe, alle Statements, alle Stellungnahmen und selbst die vielen Demonstrationen und Kampagnen blieben unberückichtigt, niemand hörte auf die Expertise der Branche oder setzte sich für die Rechte der Sexarbeitenden und deren Schutz in Bordellen ein. Lieber ertrug man die Meldungen über Gewalt von Kunden, Überfällen und Diebstählen in Hotels und Übergriffen auf der Straße von Passanten und Anwohnern.

Dabei stellte sich der Föderalismus wieder als ein Hemmschuh heraus: Erstrittende Bordellöffnungen in einem Bundesland galten zunächst nur für das streitende Bordell, aber nicht für andere Bordelle im gleichen Bundesland oder in anderen Bundesländern.
Koalitionen für eine Bordellöffnung unter Führung bestimmter Parteien (z. B. für die Nordischen Länder) scheiterten am Veto eines Bundeslandes und damit für alle.

Schwierig gestaltete sich auch die Ersatzfinanzierung:

  • Hartz IV-Leistungen für Sexarbeiter*innen mussten z. T. erstritten werden, wobei der bürokratische Aufwand mit dem Zusammentragen der Belege über die tatsächlich geleistete Arbeit und die gezahlten Steuern nur mit Fachkräften der Fachberatungsstellen zu bewerkstelligen war.
  • Bordellbetreiber*innen wurden z. T. auch auf Hartz IV-Leistungen verwiesen und erhielten nur einen Teil der Betriebskosten aus der Corona-Hilfe erstattet.
  • Nachträglich wurde oft in Zweifel gezogen, dass die Bordelle tatsächlich geschlossen waren (ein Blick in die Corona-Verordnungen hätte hier genügt) und keine Einnahmen erzielt hatten und ob bestimmte Anschaffungen, wie z. B. die Corona-Luftfilter, erforderlich seinen.

Klar, das Personal in den Bewilligungsbehörden und später den Überprüfungsstellen waren nicht mit den Besonderheiten der Branche vertraut. Da halfen oft nur lange und aufwendige Erkärungen, Begründungen und Widersprüche.

Natürlich hat die Corona-Pandemie nichts mit dem ProstSchG zu tun. Aber es hat große Auswirkungen auf die Umsetzung des Gesetzes und nun auch auf die Evaluation. Dem muss Rechnung getragen werden.

Leider hat die Corona-Pandemie uns auch sehr deutlich vor Augen geführt, was ein Sexkaufverbot nach dem sog. Nordischen Modell für die Sexarbeiter*innen, die Bordellbetreiber*innen, die Kund*innen und die Gesellschaft insgesamt bedeutet. Da braucht es keinen Blick nach Schweden, Norwegen, Irland oder Frankreich, wo die Auswirkungen fatal sind. Das haben wir während der Corona-Pandemie hier in Deutchland bereits erlebt:

  • Sexarbeiter*innen verlieren den Schutz der Bordelle.
  • Sexarbeiter*innen arbeiten weiter in der Prostitution, weil sie über kaum andere adäquate Einnahmequellen verfügen oder die Prostitution nicht aufgeben wollen.
  • Sexarbeiter*innen arbeiten allein und können sich nicht mehr auf den Schutz, den Austausch und die Professionalisierung mit Kolleg*innen stützen.
  • Sexarbeiter*innen müssen sich an neuen, unbekannten Orten mit den Kunden treffen, denn diese befürchteten wegen der Bestrafung der Kunden die Verfolgung durch die Polizei.
  • Sexarbeiter*innen konnten keine guten und fundierten Vorgespräche mit den Kunden führen, alles musste wegen der befürchteten Bestrafung schnell gehen.
  • Respektvolle und freundliche Kunden bleiben eher weg oder besuchten Sexarbeiter*innen weniger, dafür trauten sich aggressive und gewalttätige Kunden mehr und nutzen die Abhängigkeitssituation aus. Die Gewalt gegenüber den Sexarbeitenden nahm statistisch nachweislich zu.
  • Sexarbeiter*innen tauchten mehr und mehr ins Dunkelfeld ab und sind dann auch für Beratungen, Streetwork und Hilfen nicht mehr erreichbar gewesen.
  • Prostitutionsstätten waren verboten. Bordellbetreiber*innen verloren alles, was sie sich über Jahre aufgebaut haben und dabei auf die Rechtssicherheit des Staates vertraut hatten. Investitionen waren vernichtet und Kredite konnten häufig nicht zurückgezahlt werden. Insolvenzen, Verschuldungen und zerstörte Existenzen waren die Folge.
  • Kund*innen verloren ihr Recht auf Privatheit, Intimität und sexuelle Zufriedenheit.

All diese Aspekte müssen bei der Evaluation berücksichtigt werden. Aber auch bei der Diskussion um ein anderes Thema, um die Einführung des sog. Nordischen Modells.

Küster und Bartsch (heute KFN) führten bereits 2023 eine Studie zur Situation von Sexarbeiter*innen während der Corona-Pandemie durch: "Prostitution in the times of COVID-19."

Beispiele

Forderungen

Links & Quellen